Am 13. und 14. Juni waren wir auf dem 12. Kulturpolitischen Bundeskongress in Berlin, der unter dem Thema „Post-Polarisierung? Kulturpolitische Narrative gestalten“ stand. Organisiert von der Kulturpolitischen Gesellschaft e.V. und der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) in Kooperation mit dem Deutschen Städtetag, erlebten wir zwei intensive Tage voller Inputs, Diskussionen und wertvoller Vernetzungsmöglichkeiten.
Claudia Roth eröffnete den Kongress mit einer inspirierenden Rede. Sie betonte, dass die Überwindung von Polarisierung eine zentrale Aufgabe der Politik sei und dass nachhaltige Reformen nur durch breiten Konsens erzielt werden können. Kultur bezeichnete sie als Sprache der Freiheit und Freizügigkeit, deren Voraussetzung die Freiheit des Anderen sei, was essentiell für die Demokratie ist. Sie wies darauf hin, dass Demokratie unter Druck geraten sei und damit auch die Freiheit in Gefahr stehe.
Roth hob die Bedeutung der Würde des Menschen hervor, wie sie im Grundgesetz verankert ist, und erklärte, dass dieser Schlüsselsatz für alle gelte und ein Auftrag an die Demokratie sei, dieses Versprechen einzulösen. Sie sprach über die Notwendigkeit kultureller Einrichtungen als Schutzräume für offenen Austausch und betonte, dass diese keine Arenen oder politischen Kampfstätten sein sollten. Statt spezifischer Antisemitismus-Klauseln plädierte sie für die Eigenverantwortung der Einrichtungen. Angesichts der aktuellen Bedrohung durch Antisemitismus und die Wichtigkeit von Erinnerungsstätten erwähnte sie ihr Rahmenkonzept der Erinnerungskultur und gab den Teilnehmenden mit auf den Weg, dass unsere Gesellschaft dringend historische und politische Bildung benötige.
Tobias Knoblich, Präsident der Kulturpolitischen Gesellschaft, stellte mit der Geschichte über das alte Postwesen eine interessante Analogie zu den heutigen kulturellen Umschlagplätzen her, denen ebenfalls eine noch ungewisse Zukunft bevorstünden. So, wie man damals eben auch nicht wusste, was die nächste Reiseetappe bringen würde. Er beschrieb, dass oft etwas Neues anfängt, obwohl das Bisherige sich noch nicht erschöpft hat. Angesichts der aktuellen politischen Krise müsse nun das Setting umgebaut werden, um neue Gemeinschaftszonen zu schaffen und Polarisierungen auszutarieren.
Thomas Krüger, der scheidende Präsident der bpb, hinterfragte die aktuellen Formate der Diskurse und betonte, dass die kulturpolitische Bildung auch zu einer in diesen Zeiten notwendigen Ambiguitätstoleranz führen könne. Er sprach aber auch darüber, wie Kulturpolitik angesichts der letzten Wahlen mit noch mehr Herausforderungen konfrontiert sei und dass der Kongress als Debattenraum die Komplexität einordnen, erklären und verständlich machen solle. Krüger schloss seine Rede mit dem Aufruf: „Kopf hoch und nicht die Hände“.
Prof. Armin Nassehi stellte in seiner Keynote die oft konfliktreiche Beziehung zwischen Kulturpolitik und Kultur dar. Er machte klar, dass Demokratie bedeutet, zivilisiert mit Konflikten umgehen zu können, und dass es ein Fehler sei, von der Kultur immer das Gute zu erwarten. Kultur bedeute Vielfalt, die durchaus auch zerstörerisch sein könne. Er betonte, dass es weniger eine gesellschaftliche Spaltung gebe, indes aktuell polarisierte Diskurse vorherrschen würden. Die Eindeutigkeit von Differenz sei laut Nassehi gerade verloren gegangen . Kultur fixiere Bedeutung und reiße sie sofort wieder ein. Leitbilder, so Nassehi, produzieren Eindeutigkeiten, geben aber den Abweichungen keinen Raum und seien daher problematisch.
Podiumsdiskussionen und Foren: Impulse für die Praxis
Das erste Panel „Status quo“ war besonders aufschlussreich. Prof. Dr. Ingolfur Blühdorn betonte die fehlenden Visionen einer realistischen Zukunft und sah unter anderem die Rolle der Künstlichen Intelligenz in der Kultur kritisch. Zudem sah er problematisch, dass alle Parteien angetreten seien, den Wohlstand zu verteidigen, was uns ganz schnell um die Ohren fliegen könne. Man müsse den Gemeinsinn wieder herstellen. Muchtar Al Ghusain und Prof. Dr. Mirjam Wenzel diskutierten die Bedeutung von Leitbildern und Mission Statements, die neue Perspektiven auch für die eigenen Projekte geben könnten. Wenzel macht sich mit ihrem Team Gedanken darüber, wie man das Mission Statement auch anschlussfähig machen kann.
Das Forum „Demokratie und Kultur stärken“ zeigte Praxisbeispiele, wie diverse Publikumsschichten in die Kulturarbeit einbezogen werden können. Die Diskussionen dort waren interessant für uns, da sie konkrete Strategien für eine resiliente Kultur der Demokratie boten. Wir haben einige Ideen mitgenommen, die sich durchaus auch in mögliche Selbstlernkurse übersetzen lassen. Prof. Birgit Mandel moderierte das Panel und es gab auch einige Auswahlfragen ans Publikum. Allerdings war es nicht ganz einfach aus so viel dichtem Input umzuswitchen zur Beteiligung.
Claudia Ehrgartner, Bildung und Vermittlung am Hamburger Bahnhof berichtete über ihre Konzepte, mit Communities zusammenzuarbeiten. Und auch Bernhard Glocksin, Künstlerische Leitung, Neuköllner Oper, Berlin stellte seine Haltung zur Partizipation dar. Dr. Christian Esch, Direktor des NRW KULTURsekretariats, Wuppertal und Prof. Dr. Robert von Zahn, Generalsekretär des Landesmusikrats NRW, Düsseldorf konnten auch noch einmal weitere Perspektiven auf die Frage, mit welchen künstlerisch-kulturellen Angeboten sich Menschen unterschiedlicher Lebensstile und politischer Auffassungen gleichzeitig erreichen lassen? Unser Fazit hier: es gibt wirklich in den einzelnen Institutionen schon viele gute Ansätze und eine spannende Beziehungsarbeit mit den jeweiligen Communities. Jede/jeder hat hier seine eigenen Rezepte, die natürlich zum individuellen Kontext passen. Interessant ist dann die Frage, wie kriegt man das in die Fläche? Wie lassen sich daraus Blaupausen für das Umbauen von Strukturen machen? Zumindest treibt uns das immer noch um. Auch im Hinblick auf die Frage, was wir zukünftig lernen müssen. Oder auch: was müssen wir verlernen?
Besondere Eindrücke hinterließ das Forum 3: »The reason why« Explorativer Workshop zur Gestaltung und Förderung von Demokratie in der kommunalen Kulturverwaltung. Hier haben Joscha Denzel (Placemaking und Künstlerische Entwicklung), Alissa Krusch (Managerin Digitale Transformation), Marie Schallenberg (Marketing und Kommunikation); Romy Schmidt (Kulturförderung) vom Kulturforum Witten einen spannenden interaktiven Workshop gestaltet. Anhand der Werteentwicklung im Kulturforum Witten veranschaulichten sie die Spielräume innerhalb des Systems Kommune. Was ganz lebhaft in Erinnerung blieb, war, dass die Handlungsleitlinien und Werte, die das Kulturforum Witten sich für seine Organisation erarbeitet hat, im gemeinsamen Workshop 1:1 umgesetzt wurden: mit einem eindrucksvollen menschenzentrierten Workshop-Konzept, das die Teilnehmer nicht „belehrt“ hat, sondern ab der intensiven Begrüßungssequenz mit einer Art strukturiertem Speeddating sehr aktiv in Kontakt gebracht und damit zur Kollaboration motiviert hat. Das Team des Kulturforums Witten hat in diesem Setting die Weisheit der Gruppe genutzt. So viel persönlicher und fachlicher Austausch in kürzester Zeit! Das war lebendiges Lernen at its best. Verbunden mit der Bestätigung, dass „neue Selbstverständnisse zu neuen Zugängen führen: zu Menschen, Ideen und Räumen!“ Herzlichen Dank an die hoch engagierten Kolleg:innen aus Witten!
Tag 2: Neue Leitbilder und kreative Ansätze
Der zweite Kongresstag begann mit dem Panel „Quo vadis“, das über neue Leitbilder und deren Gestaltung diskutierte. Christina Ludwig vom Stadtmuseum Dresden sprach über co-kreative und ständig angepasste Leitbilder, während Prof. Dr. Philipp Staab die Herausforderungen der Zustimmung aller gerade in Zeiten des Wandels thematisierte.
Das Abschlusspanel „Auf dem Weg zu KulturpolitikEN der Zukunft“ verdeutlichte, dass Differenz und Zugehörigkeit gleichzeitig existieren können. Es wurde betont, dass nicht nur die Verkündung von Kulturpolitik zählt, sondern auch der Prozess ihrer Entwicklung.
Besonders beeindruckend war die Begleitung des Kongresses durch die Graphic Recording Künstlerinnen Tiziana Beck und Nina Wehrle, die die komplexen Diskussionen und Beiträge in beeindruckenden visuellen Darstellungen einfingen.
Tanzen
Was uns auch noch besonders gefallen hat: Am ersten Kongresstag gab es in der Akademie der Künste eine Tanzrunde, inspiriert von modernen Tanz-Battles. Zu fortgeschrittener Stunde ließen sich alle auf den Rhythmus ein. Diese gelöste Stimmung war nach den intensiven Diskussionen eine willkommene Abwechslung und stärkte das Gemeinschaftsgefühl aller Teilnehmenden.
Insgesamt bot der 12. Kulturpolitische Bundeskongress viele wertvolle Denkanstöße und ermöglichte uns, neue Perspektiven auf das Wissen zu entwickeln, das künftige Kulturarbeit benötigt. Die Diskussionen und Netzwerke, die wir dort knüpfen konnten, werden unsere Arbeit nachhaltig bereichern.